alljährlich, alldezemberlich, alles lächerlich

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Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens

Von Max Goldt, aus Die Welt, 20.08.2005
 
Wie schön wäre es, wenn ich einmal einen Brief bekäme, in dem es heißt: "Bitte schreiben Sie niemals eine satirische Weihnachtsgeschichte, denn Autoren, die so was tun, sind echt das Letzte" Statt dessen gibt's jedes Jahr folgende Botschaft: "Wir hätten gern eine wunderbar satirische Weihnachtsgeschichte von Ihnen!"
Den Teufel werd ich tun. Das schlimmste an Weihnachten ist die alljährliche Flut von satirischen Weihnachtskommentaren in Schrift, Musik und Schauspiel. Scharen von Kleintalentverwesern, die sich das ganze Jahr hervorragend und mit persönlichem Profit auf den Kapitalismus verstehen, wittern alljährlich, wenn der Winter naht, einen Konsumterror, der in seinen vermeintlichen Opfern einen Konsumrausch auslöst.
Terror aber ruft gemeinhin Angst und Trauer hervor; wäre er dafür bekannt, Räusche zu erzeugen, hätte der Terror so manchen auch gutbürgerlichen Verehrer. Wer wiederum das Heimtragen von Plastiktüten mit Kinderspielzeug für einen Rausch hält, dem sei anzuraten, im zugangsbereich von Diskothekentoiletten bestimmte aus naiver Sicht unnötig lange dort herumstehende Personen zu fragen, ob sie etwas hätten, womit man ihren Irrtum bezüglich des Begriffes Rausch ausräumen könnte.

Seit Jahrzehnten werden nun schon alldezemberlich Programme aufgeführt mit Titeln, die selten wesentlich anders als "Süßer die Kassen nie klingeln" lauten, und in Kino und TV laufen heiter glucksende Komödchen, in denen Weihnachtsmänner bald entführt werden, bald aufgrund organisatorischer Mißverständnisse zu Dutzenden im Bescherungszimmer aufkreuzen. Im Soundtrack, meist von Haindling oder Konstantin Wecker, tönen volkstümliche Motive, die ganz im Stil althergebrachter Gesellschaftskritik, durch leichte Dissonanzen aufgerauht werden. Grundsätzlich werden diese Filmwerke stereotyp als "bitterböse" angekündigt. Das sind sie aber nie, sie funkeln rot und gold und grün vor augenzwinkerndem Einverständnis, welches sagt: ja, das ist ja schon der helle Wahnsinn, dieses Weihnachtstreiben, aber, Hand aufs Herz, lieben wir's nicht letztlich alle doch? Schon allein wegen der leuchtenden Kinderaugen!

Wer allerdings seine Kinder ganzjährig observiert, wird feststellen, daß ihre Augen ganzjährig leuchten. Ein Augenarzt könnte diese Naturerscheinung gewiß ohne Mühe allgemeinverständlich erklären, und vielleicht wüßte es hinzuzufügen, daß, wenn Kinderaugen nciht mehr leuchten, Allerschlimmstes eingetreten sein muß, das mit geschenken nicht - und noch nciht mal mit Liebe - kuriert werden kann.
Was sich freut, ist eben feucht und leuchtet! Ich freu mich auch und leuchte feucht, doch wird mein Lebensleuchten nciht grad auf Weihnachtsmärkten angefeuert.

Vor lauter Volkstümelei ist wahscheinlich noch nie jemandem die Idee gekomen, zu prüfen, ob es überhaupt den Auflagen des Denkmalschutzes entspricht, sorgsam restaurierte historische Marktplätze für geschlagene fünf Wochen mit billigen Sperrholzverschlägen zu möblieren, die landauf, landab identisch sind, was aber bestimmte Frauen nie daran gehindert hat, busladungsweise im Lande herumzureisen und nach unzähligen vergleichenden Studien schließlich zu beratschlagen, welcher Weihnachtsmarkt der "allerallerwunderwunderschänste" sei. Wer gewohnt ist, seinen Geschmack nicht als gottgegebene Eigenschaft wie seine Augenfarbe zu betrachten, sondern als eine Größe, an der beständig gearbeitet werden muß, wird vielleicht Schwierigkeiten haben, an einem Weihnachtsmarkt etwas schön zu finden, aber diesen Einwand werden die Leute abschmetten und sagen: "Was ist schon schön?" Das habe ich freilich bis vor kurzem auch noch nicht so genau gewusst, aber seit mir ein tschechisches Sprichwort wie gerufen in die Quere kam, weiß ich's endlich ganz genau: "Schön ist, was tschechisch ist." Endlich herrscht Klarheit in dieser Frage, endlich Schluß mit dem alten, nicht mal von Shakespeare stammenden Zinnober, daß Schönheit im Auge des Betrachters liege - nein, schön ist, was tschechisch ist! Man sollte freilich hinzufügen, daß die Tschechen diesen merksatz heute häufig ins sarkastische verkehrt herum verwenden, wenn sie z.B. an tristen Bauten aus sozialistischer Zeit vorbeigehen.

So gesehen sind Weihnachtsmärkte natürlich perfekte Botschafter ironisch verdrehten tschechischen Schönheitssinns: Bretterbuden mit aufgetacktertem Fischtengrün, vor denen man, gruppenweise stehend, auf die dümmste Art, die Menschen möglich ist, minderwertige Lebensmittel verzehren kann. Nur Leuten mit dem Weitblick eines Nostradamus würde ich es abnehmen, wenn sie nun sagten, sie kennen noch dümmere Arten Golden-Delicious-Äpfel aus Drei-Kilo-Plastiksäcken zur Verköstigung zu bringen als sie auf meist morsche Stäbe gespießt in rot gefärbtem Zuckerlack zu tauchen. Dümmer wäre nämlich lediglich, wenn man mit dem Paradiespieß versehentlich an seinen Schal käme - auch noch voll Schalfusseln, das rote Gruselding. Man könnte nun fortfahren und aufwendig den Brauch kritisieren,  die Mandelernte vom vorvorigen Jahr durch Karamelisierung zu entsorgen, wobei man hinzufügen müsste, daß man denjenigen, die das essen, wohl auch kandierte Zigarettensctummel vorsetzen könnte, aber das würde ohne Zweifel überhaupt ncihts nützen. Viel lieber sage ich nun folgendes: Wenn ich nur einen schlechten Rotwein hätte, eine Alkoholzufuhr aber für dringend sachdienlich hielte, würde ich den Wein so weit wie möglich runterkühlen. Man weiß ja von Coca Cola und manchem Milchspeiseeis, daß eklige Dinge halbwegs tolerabel schmecken, wenn man sie stark kühlt. Ich würde den schlechten Wein jedenfalls nicht zur drastischeren Offenlegung seiner minderen Qualität auch noch erwärmen!

Weihnachten ist eine der drei großen Volksschwächen. Die anderen beiden sind Autos und Fußball. Wer bevorzugt, sich seinen persönlichen Defekten zu widmen und daher schon terminlich Schwierigkeiten hat, an Massenschwächen teilzunehmenm, sollte sich aber mit ihnen arrangieren, denn politische Systeme, die die Macht hätten, die Volksschwächen auszurotten, haben den Nachteil, daß sie mit rauchenden Ruinen und Leichenbergen zu enden pflegen. Wir wollen also gar nicht erst damit anfangen, leise tickende Taschen auf Weihnachtsmärkte abzustellen, sondern gehen kühl lächelnd, geführt von ruhigem friedlichem Desinteresse, seitlich an ihnen vorbei - und dank der guten baupolizeilichen Bestimmungen in Deutschland ist es ja möglich, seitlich an so ziemlich allem, was häßlich ist, vorbeizugehen!



1 Kommentare:

Jens hat gesagt…

Huhu Henoth,

puh, was für ein Beitrag. Satirisch hat Herr Max Goldt es immerhin getroffen :D

Vielleicht war er aber auch einfach noch auf keinem der Weihnachtsmarke, die wir so lieben. ;) Hier findest du unseren Beitrag zu der Blogparade: http://www.outdoorshopper.net/teilnahme-der-blogparade-weihnachtsmaerkte-quer-durch-deutschland/

Liebe Grüße,
Jens

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