Mein Hobby: Arschlochinseln

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SunSete - Micael Reynaud

Geodeterminismus

Was bin ich froh, dass ich in West-Deutschland geboren und aufgewachsen bin. Ihr werdet lachen, wenn ich euch google-maps-scrollenden Handynutzern mitteile, dass mein geopolitsches Wissen auf  einer großen bunten Schreibtischunterlage, unterhalb meiner Grundschulhausaufgaben fußt, die neben dem kryptischen CCCP auch eine direkt angrenzende DDR auswies - oder wie meine Anverwandten zu sagen pflegten: Die Zone.
Auch nachdem an meinem neunten Geburtstag Gorbatschow als Präsident der UdSSR zurücktrat und die Amtsgeschäfte an Jelzin als Präsidenten der Russischen Föderation übergab, blieb meine Schreibtischunterlage  die selbe, die Existenz und Position von Litauen, Georgien, Estland, Lettland, Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan, Armenien, Aserbaidschan und Turkmenistan sowie Kasachstan zunächst völlig unbekannt und auch der Begriff der Zone blieb im Wortschatz meines Umfeldes aktiv, obwohl sich irgendwas am Grenzverlauf getan hatte. Mein Verständnis von Grenzen war aber nicht besodners kongruent mit meinem Wissen über die geschichtlichen Zusammenhänge. Ich war jedoch fasziniert davon, dass die Welt riesig sein musste und dass sie aufgeteilt wurde. Zudem Zeitpunkt hatte ich das so ähnlich visualisiert wie Die Grenzgemarkierungen zwischen Grundstücken, die mit einem breiten speziellen Nagel zur Straße hin als Endpunkt einer gedachten Linie realisiert werden.

Mich beeindruckt noch heute das weltumspannende Konzept von arbiträr gezogenen Grenzen, die Gebiete abteilen, in denen andere regeln gelten. Naja, werdet ihr sagen. 
"NAJA", und ein Bein affektiert auf das andere legen, und wenn wir die späten siebziger Jahre hätten, dann hättet ihr euch auch dazu eine Pfeife angesteckt und verhohlen gelacht. So bleibt es beim Übereinanderschlagen der Beine und dem verhohlenen Lachen, welches auf eure "naja"-Ellipse folgt.

Denn ganz so willkürlich sind die Grenzen ja letztendlich nicht. Willkürlich ist nur deren Lebensweise und diese grenzt sich dann von selbst zu anderen ab. Die unterschiedliche  Sozialisierung wurde von Jared Diamond in seinem Sachbuch Guns, Germs, and Steel: The Fates of Human Societies, New York, 1997 auf folgende Grundthese heruntergebrochen:


Der Autor entwickelt in dem Werk die umfassende Theorie eines geographischen Determinismus. Ausgangspunkt dabei ist die Frage, warum menschliche Gesellschaften, die vor rund 13.000 Jahren allesamt als Jäger und Sammler lebten, sich seitdem höchst unterschiedlich entwickelt haben. Es wird dabei betont, dass es keinesfalls überlegene und untergeordnete Rassen gebe, sondern einzig unterschiedliche Voraussetzungen bezüglich Geographie, Klima, Flora und Fauna der Erdteile die Entwicklungsunterschiede erklären. - wiki

Warum Jared Diamond für Der dritte Schimpanse: Evolution und Zukunft des Menschen von 1991 und Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen von 2005 nicht ebenfalls einen Pulitzerpreis absahnen konnte, ist mir schleiherhaft. Schon die Titel protzen vor Pulitzerdeterminismus.  Auch ob man seinen Begründungen durch Nachvollziehbarkeit Folge leisten kann, mag ich nicht zu beurteilen. Ich habe das Buch noch nicht gelesen. Aber es steht auf meiner Amazon-wishlist und ich habe bisher auch so meine eigenen Überlegungen zu der unterschiedlichen Produktivität auf der Landkarte der Erde geführt.




 Ressourcen, deren Verteilung und die Lust darauf

Man könnte nun beginnen und wie Jared Diamond sagen, das alles läge ledigleich an der Verteilung von Ressourcen und deren Erschöpfung durch die jeweiligen Gesellschaften. Ich werde dazu einige Punkte aus meinem Thesenschatz in die Runde werfen und ihr dürft abgleichen, ob ich mich maßlos verschätzt habe oder ob sich mein Weltverständnis anfühlt wie eine reife Zitrone.

Meine erste Theorie umfasst die Idee, dass die Ressourcen nur dann genutzt und optimal ausgeschöpft werden, wenn es notwendig ist. Besteht keine Knappheit, dann lässt sich daraus keine Notwendigkeit ableiten, auch keine vernünftige Vermarktung realisieren und darüberhinaus fehlt der Antrieb diese Rssource effizient zu erschöpfen.

Demgegenüber stellt Axelle Kabou das Unvermögen der Afrikaner zu langfristiger Wirtschaftsplanung, geprägt durch den jahrhundertelangen Sklavenhandel.
Max Weber betonte hingegen die Rolle der Religion, insbesondere des Protestantismus bei der Wirtschaftsentwicklung auch in klimatisch ungünstigen Regionen, etwa in Skandinavien. - wiki


Ja, denn als Haupteinfluss sehe ich da vor allem das Klima:
  • In einer Region, in der es ganztägig und ganzjährig warm bis eher zu heiß ist, sieht man davon ab produktivitätssteigernde Maßnahmen zu ergreifen, die einen vor dem verhungern und erfrieren in kalten Wintern retten sollen. Man brauch keine neuen Werkstoffe oder Isolationen erfinden, keine Motoren, die Arbeitskraft ersetzen sollen, man brauch sich auch gesellschaftlich nicht zu sehr anzustrengen, Arbeitsverhältnisse produktiver zu gestalten.

  • Wenn es sogar zu heiß ist, benötigt man auch nicht die Nahrungsreserven, um die Körperwärme stabil zu halten, sondern ist geneigt, sich durch Ruhephasen in der Mittagszeit zu schonen. Sind diese erweiterten Nahrungsreserven obsolet, wird auch weniger technologischer Fortschritt für diesen Zweck betrieben. Das Konservieren von Nahrung bekommt einen anderen Stellenwert, wenn die Nahrung sowieso ganzjährig zu Verfügung steht.

 Ich gehe sogar soweit mit meinen Annahmen, dass sich aus der Notwendigkeit entsprungenen Härte der natürlichen Umgebung, die alle dortigen Lebewesen jahrtausendelang immerschon bedrohlich gefährdete, eine Messlatte Messlatte für derlei verschiedenste Gesellschaftsformen formte.

Extreme Naturvölker zeigen die Härte und deren Anpassung, wie die Eskimos, die Tuareg oder die Hazda. 
Während „indigen“ eine politische Kategorie ist, bezieht sich Naturvolk auf das romantische Ideal des „edlen Wilden“, der in vollkommener Harmonie mit der Natur lebe (siehe dazu auch Naturzustand nach Rousseau). Dabei wird übersehen, dass auch „naturverbundene“ menschliche Gemeinschaften immer Kultur hervorbringen. So sind beispielsweise die tropischen Regenwälder und die Tundren des russischen Nordens Kulturlandschaften, die durch indigene Völker geprägt wurden und werden. Das behauptete ökologische Umweltbewusstsein und die vermutete soziale Harmonie „natürlicher“ und früher Gesellschaftsformationen werden seit Langem durch vielfältige ethnologische (völkerkundliche) Studien in Frage gestellt. - wiki

Die nächste Theorie mag sich mit Diamond decken, allerdings habe ich eine betstehnde Entsprechung gefunden, die ich als Referenz heranziehe:  Ganz übel für die Entwicklung einer Gesellschaft ist, wenn zu dieser fehlenden Notwendigkeit zur Entwicklung eine externe und einseitige Kraft hinzukommt. Wenn zudem letztgenannten eine spezielle geologische Ressource im Übermaß vorliegt kann es zum Ressourcenfluch kommen. 

Mit dem Begriff Ressourcenfluch  werden die verschiedenen negativen Folgen bezeichnet, die der Reichtum an natürlichen Ressourcen für ein Land und seine Bevölkerung haben kann, besonders das scheinbare Paradoxon, dass das Wirtschaftswachstum in Ländern, die viele mineralische und fossile Rohstoffe exportieren, in der Regel geringer ist als in rohstoffarmen Ländern. Der „Fluch“ sei dabei durch das Fehlverhalten der betreffenden Marktteilnehmer begründet. Daneben wird die Wirtschaft in Ländern mit Bürgerkriegen, hoher Korruption und bewaffneten Konflikten auf die lokalen Rohstoffe reduziert, was deren Rolle besonders hervorhebt. - wiki

Auch hier kann man eventuell berteits ableiten, dass eine Produktivitätssteigerung, ein Wirtschaftswachstum zugunsten betrieblicher und technologischer Mittel für die Masse nicht notwendig ist, weil man sich augenscheinlich auf die eine Ressource verlässt.


Und dann wäre ja noch das Thema Überbevölkerung

Komm jetzt, Henoth, werdet ihr sagen, Du als Menschenfreund und offener Metropolit hast da sicherlich deine eigene Meinung, die politisch nicht ganz korrekt ist.

Und ich als Fels in der menschlichen Brandung könnte jetzt auch sofort vom Leder ziehen und eurer Bosheit Lügen strafen, wenn ich über "den Knopf" berichten würde oder das, was ich mit "zehn Prozent von zehn Prozent - egal wer" meine. Aber das würde Eure doch sehr beengten Vorstellungen zunächst überbevölkern und daher bleiben wir erstmal mal bei der Erdkunde in diesem Knecht und ich zeige euch warum Notwendigkeit der Grund ist warum uns Überbevölkerte Regionen überholen werden oder in toto untergehen.




Ein Herr Malthus stellte 1798 die These auf, dass die Bevölkerungszahl exponentiell wachse, die Nahrungsmittelproduktion aber nur linear. Daher reduziere sich die Bevölkerung durch Seuchen und Verelendung wieder bis man wieder am Versorungsmaximum angelangt ist; ähnlich dem Prinzip von Eule zu Maus, Insekten zu Spinnen oder abstrahiert: der Populationsdynamik bei Räuber Beute-Beziehungen.  Damit wollte er auch Armut, Hunger, Krankheit, Slumbildung und die daraus sich ergebenden sozialen Unruhen in den englischen Großstädten seiner Zeit erklären. Allerdings dauerte es nicht lange und die Industralisierung machte aus der prognostioziertem Linaearität der Nahrungsmittelproduktion ganz schnell eine produktivitätsgesteigerte Größe, die ebenso stetig wachsen kann. Wir lernen aber nebenbei etwas viel wichtigeres:

Die erhöhte Effizienz der Produktivität geht im Wesentlichen auf drei Mechanismen zurück: 1. Arbeitsteilung und Massenproduktion, 2. Innovationen und 3. sozial institutionalisierte Regeln, welche die ersten beiden Punkte unterstützten. Diese Mechanismen werden durch eine anwachsende Bevölkerung erst ermöglicht und notwendig. - wiki

Fazit:
  1. Es entstand eine Notwendigkeit.
  2. Diese hat die Nachfrage nach Produktivitätssteigerung gehoben
  3. Dieses hat soziale und technologische Reformen bedingt

Gerne würde ich also einen Atlas herausbringen, der anstelle von eindimensionalen Messgrößen wie Analphabetismus, Geburtenrate, Säuglingssterblichkeit und Verbreitung von AIDS eine kongregierte Messgröße hervorhebt, nach einer arbiträr von mir eingeführten Skala. Ich hätte gerne eine kombinierte Erdkundekarte des Fortschritts gemessen an westlich-europäischen Entwicklung in Jahreszahlen n.Chr. So dass man eine Seite aufschlagen kann, auf die Karte sieht und feststellt, dass die Regionen  Ta'izz, Ibb, Abyan und Lahidsch im Jemen sich inzwischen auf dem Niveau von 800 n. Chr. befinden.
Diesen arbiträren Zeitvergleich könnte man auch auf die gesamte Zeit der Entwicklung der chinesischen Herrscherdynastien beziehen oder auf Mandarin übersetzen, wenn man meint, einen allzu arroganten Ton mit dieser eurozentrististischen Skala angeschlagen zu haben.





Mein Hobby: Arschlochinseln


Im Ton vergriffen hatte sich auch Sybille Lewitscharoff. Wissenschon, die mit dem BRF und die beim Wort "Onanieverbot" mit dem Stock nicht sofort vom Rednerpult wieder in die Kulisse gezogen wurde ("Der Veranstalter reagierte sofort"). In Dein Fremdschämen ist ungewollt meine Stand-Up Comedy hatte ich ja bereits den Schluß gezogen dass es keinen Grund gäbe, um über den Sachinhalt von Sybilles Aussagen tatsächlich ein Wort zu verlieren und stattdessen aufgefordert die vordergründige Clownsshow zu belachen, die sich während ihrer Feilbietung automatisch ergibt.

Jedoch Judith Schalansky, wohle selber onaniererende Lesbe und Mutter, fühlte sich direkt angegriffen, nicht nur von der Einschränkung ihrer Handlungsmoral, sonder auch scheinbar tief beleidigt. Sie schrieb einen Gastbeitrag in der sueddeutschen und damit machte sich mit die attraktive Autorin interessanter Werke mit der Replik auf Lewitscharoff etwas Luft:
Der Abscheu, so gibt sie selber zu, übersteige in diesem Punkt ihre Vernunft. Genau die vernunftslose Verachtung ist der Ursprung für Hass auf alles Andere und Abweichende,[...]. - Schalansky über Lewitscharoff in sueddeutsche.de

Die allgemeine Zeitung sprach sogar von einem Schockzustand, indem sich Schalansky befunden haben soll. Sicherlich hat sie sich blenden lassen von äußeren Umständen, nur so kann ich es mir erklären, warum sie auf die sinnentleerten Fabulationen Lewitscharoffs wirklich Stellung nehmen wollte. Denn wenn man ihre sehr abstrakte und kurze Stellungnahme mit meinem Lieblingsbuch von ihr gegeneinander hält, kann leicht der Eindruck entstehen, dass sie eher ein scharfes Feuer schüren wollte - wie einen Kampfschrei Lewitscharoff und ihrer Homophobie entgegen.




Wer aber die Abweichungen ausgrenzt, wird der Vielfalt der Schöpfung nicht gerecht.
- Schalansky über Lewitscharoff in sueddeutsche.de

Das steht konträr zu ihrem pyramdialen Buch, ein Atlas - Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde. Welches klar ausgrenzt und festlegt, was Freiheit innehat und warum manche Inseln einfach scheiße sind.

Es sind ja keine heilsbringenden Orte, und für die Literatur ist es ohnehin besser, man bleibt zu Hause und schlägt den Atlas auf. - zeit.de

Es ist ein bischen als ob sie damit bei mir offene Türen einrennt. Nicht dass ich etwa emotionale Ressentiments gegen weiße Südseestrände hege wie Schalansky ihren bitchfight mit Lewitscharoff pflegt - Eher ist es so, dass ich aus der geodeterminstischen Sichtweise auf die dortigen Inselkulturen schaue und nicht umhinkomme, deren clowneske Parade um die Insel milde zu belächeln.

Als mir aufgefallen ist, dass Freiheit auf einer Insel bedeutet, dass man macht was man will nicht bedeutet, dass man alles machen kann - oder wie Schalansky es formuliert

Unsere Idee von Freiheit hat mit dem Festland zu tun. Wenn nur dreimal im Jahr das Schiff kommt, gibt es keine Freiheit. - zeit.de
Diese Kulturen, die sich also an der Grenze ihrer Möglichkeiten bewegen (Notwendigkeiten), haben letztlich interessante Geschichten (Fails) in ihrer Historie. Irgendwann fing ich an diese zu sammeln.
Mein Hobby wurde das sammeln von Arschlochinseln.

Die Kritereien für Arschlochstaaten, wie im aktuellen Beispiel Tadschikistan (interessant in Verbindung dazu auch dieser Hinweis vom Auswärtigen Amt), sind uns ja bereits hinlänglich bekannt (Korruption, Kleptokratie, Gottesstaat, etc.), aber wenn man nach den Arschlochinseln sucht, dann kann man im Ozean hier und da tatsächlich noch einen guten Lacher finden. Bitter macht lustig. Jetzt werdet ihr, ob der hinterlistig eingefügten lakonischen Floskel natürlich aufschreien und fragen, warum ich mich denn so menschenverachtend darstellen würde, ja nahezu onanieverbotierend den armen Kreaturen gegenüber auf ihrem Atoll, dass langsam im Meer verschwindet. Und ich könnte auch plötzlich still werden und vor euren dauernd geschlossenen moralischen Bahnschranken warten bis der Zug für das Thema abgefahren ist.

Aber stattdessen werde ich im Gasknecht eine neue Reihe eröffnen und jede Woche eine neue Arschlochinsel vorstellen. Am Ende können wir uns dann nochmal zusammen überlegen, ob eine Replik auf mein Hobby in der sueddeutsschen veröffentlich werden sollte oder ob euer Gezeter nicht eher aus der Ursache eures geodeterministischen Schams rührt.


"Es ist nicht trauriger, wenn wir alle zugleich sterben, als wenn wir alle nacheinander sterben." - Rudolf Burger





UPDATE: Zum Thema Fernweh habe ich mich Sabines ferngehweht-Blogparade angeschlossen. Schaut mal rein, ob ihr dort ein paar Inseln der Freude findet!

Frage heute (39)

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Ab jetzt ist Montag der Fragetag*

*(Jede Woche wird eine Frage gestellt, dessen Antwort nur Gott weiß. / hier ist ein Gottesbeweis. Man kann außer der Einsicht nichts gewinnen.  Es ist mehr ein Schritt zurück in die Richtung von Web 1.0, als es noch darum ging nach seiner Berieselung aktiv suchen zu müssen.)




  Die Frage heute:

Was ist das „Holozän im Quartär“, in dem wir uns gerade befinden und warum sind vergletscherte Polkappen eine klimageschichtliche Ausnahme?

Frage heute (38)

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Ab jetzt ist Montag der Fragetag*

*(Jede Woche wird eine Frage gestellt, dessen Antwort nur Gott weiß. / hier ist ein Gottesbeweis. Man kann außer der Einsicht nichts gewinnen.  Es ist mehr ein Schritt zurück in die Richtung von Web 1.0, als es noch darum ging nach seiner Berieselung aktiv suchen zu müssen.)




  Die Frage heute:

Welche technische Innovation löst den scherzhaft genannten "Uhrenladen" ab?

Der Wannabe der Authentizität

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Nehmen wir mal  Ray-Ban. Nur so zum Beispiel, damit wir das Prinzip und gemeinsam durch die entspiegelte Brille durchschauen, durch die ich sehe.

Ray-Ban (deutsch: Strahlenschutz) ist eine Sonnen- und Korrektionsbrillenmarke. Sie wurde 1937 als Tochterfirma von Bausch & Lomb, eines Herstellers medizinisch-optischer Geräte mit Beteiligung des United States Army Air Corps (USAAC), gegründet. Der erste Prototyp Anti-Glare wurde am 7. Mai 1937 zum Patent angemeldet. 1999 verkaufte Bausch & Lomb die Marke für 640 Millionen US-Dollar an die italienische Luxottica-Gruppe - wiki

Aha, nach  62 Jahren ist dem Medizintechnik Hersteller Bausch+Lomb klar geworden, dass es sich bei seiner United States Army Corps Schutzbrille nur um einen Lifestyle Artikel handelt. Das passt nicht zum seriösen Zulieferer von Präzisionstechnik. Das passt besser zu einer Lifestyle Agentur. Denn Luxottica kauft Marken wie Oakley, Persol, Oliver Peoples, etc. und wer sich nicht kaufen lässt, der wird eben lizensiert: Armani, Bulgari,Burberry, Chanel, Club Monaco, D&G, Dolce&Gabbana, Emporio Armani, Polo Ralph Lauren, Prada, Tiffany&co, Versace, uvm.

"Unternehmensgründer Leonardo Del Vecchio ist heute die zweitreichste Person Italiens." - wiki

Jetzt stelle ich mir die Frage, ob der Verkauf der Marke, neben dem bereits enttarnten untschiedlichen Vermarktungsaspekt, auch etwas mit der unterschiedlichen Qualität in der Herstellung zu tun hat? Bisher konnte ich als Brillo, der auf mehr als 30 Jahre Erfahrung durch eine Brille zurückblicken kann, jedenfalls zu keinem Zeitpunkt Ray-Ban als hervorstechendes Qualitätsprodukt erkennen. Es kam mir eher so vor, als würde es durch Einfachheit und geringe Komplexität in der Herstellung die Aktionäre begeistern.

Aber ist denn dieses Misskonzeption, dieser klare Bedeutungsunterschied, diese kognitive Dissonanz nicht allen klar?  Diese Hipsterfäule, wie ein hohler, morscher Baumstamm, an dem von außen noch die Christbaumkugeln der Konsumversprechen hängen? Wieso eigentlich Hipster?

Interest over time. Web Search. Germany, 2004 - present.

 

Zumal ist es nicht so, dass die Brille mehr wie eine Prothese funktioniert? Also ich meine selbst die Brille ohne Stärke, die als Lifestyle-Prothese getragen wird. Es ist also vergleichbar, wenn Sehbehinderte zum Augenarzt/ Optiker gehen, um sich beraten zu lassen, damit sie ihre Sehschwäche ausgleichen; vergleichbar zu dem Lifestylebehinderten, der zu... - ja zu wem geht er eigentlich? Von wem lässt sich der Lifestylebehinderte helfen einreden, dass dieses Produkt/Marke nun Hip ist und ihn zum -ster machen kann. Aber ich denke, eine Prothese beflügelt einen trotzdem nicht zu allem, wie in diesem bitteren Fall:


Weil seine Prothese nicht richtig befestigt war, hat ein einarmiger Pilot kurz vor dem Aufsetzen in Belfast die Kontrolle über seine Flybe-Maschine verloren. - spiegel.de


Oder kann es auch Prothesen geben, die eine Funktion besser ausführen, als das Original? Kann es eine Brille geben, die ultimativ und zeitlos "hip" macht?

 Im Sport wurden Prothesen lange Zeit als Behinderung angesehen. Bis vor nicht langer Zeit waren Athleten mit Prothesen gegenüber Athleten ohne Prothesen im Nachteil. Das ändert sich zur Zeit. Durch die Qualität moderner Prothesen werden diese heute zum Teil sogar als unerlaubte Hilfsmittel angesehen.- wiki


Keiner will der Hipster sein

Bei genauerem Blick scheint es aber fast so, als ob sich hier wiedereinmal eher eine Gegenkultur etabliert, als dass sich das Erfolgsmodell eines Vorzeigehipster breitflächig in die Gesellschaftsschichten drückt. So ähnlich wie die Hard Rocker keine Lust mehr hatten auf die Hippies und die Popper keine Lust mehr auf die Hard Rocker und der Grunge auf nichts. Aber eben nur so ähnlich. 


Im vergangenen Jahr fand sich im Schaufenster einer Galerie in Berlin-Neukölln eine krakelige Notiz: "Sorry, no entry for hipsters from the U.S." Und andere, den Amerikanern nacheifernde sowie spanische Hipster sollten, bitteschön, genauso draußen bleiben. "Portugiesen willkommen", so der versöhnliche Schlusshalbsatz der Hipsterhasser.- [Die Welt, 10. März 2012]
oder

Der New Yorker Künstler Jeff Greenspan stellte kürzlich in Brooklyn Fuchsfallen für Hipster auf, als Köder dienten pinkfarbene Ray-Ban-Sonnenbrillen und analoge Kameras. Blogs wie „Look at this fucking Hipster“ führen besonders groteske Exemplare vor. - [Tagesspiegel, 22. März 2012]


Zu einem guten Wein isst man einen Käse und für einem guten Vergleich holt euer Henoth auch die passenden Freaks aus der Schublade: In den 80s waren es die Yuppies.  Lest euch mal das durch und unterstreicht mit grünem Buntstift was passt und mit rotem Buntstift was nicht passt:


In den Medien lösten die Yuppies die Yippies der 1970er Jahre ab. Lebensinhalt der Yuppies war der Konsum. Als Modedroge wurde Cannabis nun durch Kokain ersetzt. Weiterhin war ein gepflegter, mäßiger Alkoholkonsum typisch, man genoss Rotwein, Bier, Cognac oder diverse Obstschnäpse, oft auch im Zusammenhang mit ausgiebigen Restaurantbesuchen bei gutem Essen. Trinkexzesse waren verpönt. Im Gegensatz zur Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre standen bei den Yuppies Konsum und materieller Wohlstand im Vordergrund. Dieser Reichtum und der damit einhergehende Hedonismus wurden beispielsweise durch das Tragen teurer Kleidung, teure Wohnungseinrichtungen oder durch exklusive Autos repräsentiert. Der sogenannte „Markenwahn“ entstand Mitte der 1980er Jahre. wiki

Hups, erwischt. Hipster sind die Erben der Yuppies, welche Erben de Yippies sind. Wenig verwunderlich, dass dies auch etymologisch so nahe bei einander liegt. Na dann fröhlichen Konsum.


Hipster trinken Pabst Beer und tragen Atari T-Shirts

threewordphrase.com
Nehmen wir ein weiteres: Pabst Blue Ribbon Brew. Das Getränk soll durch seine Authentizität ja geradezu überschäumen:

By 2001, the brand's sales were below a million barrels. That year, the company got a new CEO, Brian Kovalchuk, formerly the CFO of Benetton, and major changes at the company's marketing department were made.  [...]
Although the Pabst website features user-submitted photography, much of which features twenty-something Pabst drinkers dressed in alternative fashions, the company has opted not to fully embrace the countercultural label in its marketing, fearing that doing so could jeopardize the very "authenticity" that made the brand popular. - wiki

Dass die Produktion bereits in den 90er Jahren nicht mehr im traditionellen Stammhaus in der Innestadt von Milwaukee stattfindet sondern durch Lizenzbrauereien realisiert wird, dass ist doch egal oder? Bier ist doch Bier, oder? Für den Deutschen: Gerade in den USA wird auf Reinheitsgebote sowieso nicht geachtet.

Der Chief Financial Officer des Klamottenlabels Benetton wird sich aber sicherlich die Bettdecke nassgeschwitzt haben bei der Überlegung, wie er die Authentizität der Marke bewahrte ohne eben immernoch das selbe Produkt herstellen zu müssen. Wäre ja auch viel verlangt.



Ähnlich erging es einer Marke, die ich selber mal liebgewonnen habe: Atari Inc. Denn Atari gilt mit der Veröffentlichung von Pong, dem ersten weltweit populären Computerspiel, als Pionier der Computerspielindustrie. Und ein Atari 7800 war auch die einzige Videospielkonsole, die ich besaß. Leider ist dem Atari ein spielentwicklungstechnisch schlechter Zeitpunkt zuteil geworden, als es 1983/84 zu dem Videospielecrash kam.

Der Leitsatz "Die Eltern standen vor der Wahl, ein Videospiel zu kaufen oder gleich einen Computer, der den meist jugendlichen Benutzern auch etwas Nützliches beibringen konnte." prägte meine Kindheit, als man feststellen musste, dass ein Arcade-Konsole mit 3 verscheidenen Games eben keine Fortschritte bei der Entwicklung des Nachwuchses erzeugen konnte. Also wechselte man schnell auf das mit BASIC zu steuernde Konkurrenzprodukt Mitte der 80er, das selbstverständlcih auch zu diesem Zeitpunkt kein Macintosh gewesen ist, sondern ein Commodore 64 - ein Erfolgsmodell der immerhin bis 1994 produziert wurde. Er gilt als der meistverkaufte Heimcomputer weltweit. Dieser ist deshalb auch so erfolgreich weil der BASIC Interpreter dem Anwender erlaubte selber Spieleentwickler/ Softwareprogrammierer zu sein und von Softwareflaute war keine Rede mehr.

Eine damals sehr bekannte Softwareschmiede war Infrogrames:

 "Mit der Übernahme von Hasbro Interactive gelangte das Unternehmen [Infogrames] zudem in den Besitz der Namensrechte des früheren Konsolenherstellers Atari. Einige dieser Übernahmen wie Accolade und Gremlin bezeichnete Bonnell in einem Interview 2004 nachträglich als Fehler." - wiki

Infrogrames übernahm Gremlin Ent, GT Interactive und Hasbro Interactive, die Gruppe änderte ihren Namen komplett in Atari SA und starb dann einfach. Diese namensrechtliche, französiche Atari SA Gruppe, die jetzt 2013 ihre Insolvenz angemeldet hat, ist natürlich nicht zu verwechseln mit der immernoch bestehenden Atari Inc., mit Sitz in Sunnyvale, Kalifornien.
btw für mich ist HassBro'  im deutschen  etymologisch für mich schon kein Sympathieträger.

Dabei übt Hasbro, genau wie auch im Falle der Zeichentrickserien, unterschiedlich starken Einfluss auf die Comicautoren aus, damit diese etwa verstärkt neue Produkte (z. B. Figuren oder Fahrzeuge) in den Mittelpunkt der Geschichten rücken. - wiki

Dass ich als Bub nahezu verliebt war in solcherlei Produktion und deren käuflichen Bestandteile, soll uns aber nicht als Aufhänger dienen. Aber wir belassen diese Erfahrung mit diesem übermächtigen Sog im Hinterkopf, wenn wir bewerten wollen, warum Konsum geschieht wie er eben geschieht und warum das die Hipster prägt.

Denn Konsum ist zunächst nur ein Ausleben eines verlagerten Bedürfnisses. Also An einer Stelle fehlt etwas und an anderer Stelle wird dagegen etwas getan. Das Verbindungspassstück ist nahezu vollständig emotional und wird, damit es greifbarer scheint, konstruiert. Es wird so konstruiert, dass es massentauglich ist, aber individuell, dass man es verkaufen kann, aber ohne Verlust von Exklusivität, dass es einen Trend setzt, aber zur populäreren Gegenkultur gehört.  Dann hat mat mit diesem Produkt Erfolg und nebenbei eine Entschudligung für alle Käufer, warum sie eben so sind, wie sie sind (und das also konsumieren müssen).
Die Gegenkultur zu dieser Gegenkultur hat es allerdings schwieriger: sie muss alles ablehnen.

"Antikonsumisten, so Ullrich, fühlten sich durch die Warenästhetik "zynisch behandelt, für dumm verkauft, ausgenutzt. Aber zugleich empfinden sie sich als überlegen, sind sie doch – im Unterschied zu anderen Konsumenten – wach genug, um das böse Spiel der Manipulation zu durchschauen." - zeit.de

Wach genug, um das böse Spiel der Manipulation zu durchschauen ist sicherlich jeder andere auch, und die gefühlte Überlegenheit des Anti-Konsumisten ist leider die gleiche, wie die Arroganz und das Coocooning der Yuppies und die gleiche, wie die Abgrenzung der Hipster-bewegung, ist die gleiche,. wie die Hass-Tiraden auf Hipster. Das hebt sich hier also unter und über dem Bruchstrich auf und darf als Gegenstandslos bewertet werden - wer sich als überlegen empfindet ein böses Spiel der Manipulation zu durchschauen, der läuft Gefahr sich zu täschen.

Die Frage ist doch ob man selber Luxottica/ Pabst/ Atari Hersteller ist und seine Ware mit Marketing auflädt, obwohl man es besser weiß, oder ob man eben Konsument ist und glauben muss. Da gibts es auch keine Insider-Group, die den letzten Schrei vernommen hat, es gibt nur andere Begründungen etwas zu kaufen.Und Authentizität ist bei Lifestyle-Produkten wahrscheinlich eher eine schlechte Begründung, auch wenn man auf der Authentizität seines Warenkorbes die der eigenen Person aufkonstruieren möchte. Das sollte man schon durchschauen können, egal wie dagegen man ist.






Frage heute (37)

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Ab jetzt ist Montag der Fragetag*

*(Jede Woche wird eine Frage gestellt, dessen Antwort nur Gott weiß. / hier ist ein Gottesbeweis. Man kann außer der Einsicht nichts gewinnen.  Es ist mehr ein Schritt zurück in die Richtung von Web 1.0, als es noch darum ging nach seiner Berieselung aktiv suchen zu müssen.)




  Die Frage heute:

Handelt es sich bei dem oberen Schaubild um Setzen, Harken oder Raken?

 

 

Frage heute (36)

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Ab jetzt ist Montag der Fragetag*

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  Die Frage heute:

Wie wird der „Schrat“ im tschechischen genannt?