religiotainment ex opere operato

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Letztens steh'n wieder drei Kinder an der Tür 
mit einer Klapperdose,
schon wieder.
und klappern mit dem Geld was das Zeug hält. 
Sie zieh'n von Haus zu Haus 
und fragen nach Bargeld, 
ob sie spenden würden 
für drei kleine Mädchen;
von Haus zu Haus;
von der Kirche aus mit beträchtlichem Radau.


Bekam mein Schwert und den Abt in der Kammer, neun im Clip --“
WuTangClan


Jetzt werdet ihr wieder sagen, Henoth wird heute wieder die Scheißkirche bashen und dabei kommen auch die Blagen wieder besonders schlecht weg, und wo holt er jetzt bloß seine Thesen zur Untermauerung dazu her?

Nein. -
Die Kinder waren zwar von der Kirche, genauer gesagt sie waren Messdiener, aber ich wurde positiv überrascht und brauchte keine 97 Thesen für meine kleine Wahrheit:

„Für was sammelt ihr?“
„Wir sammeln für uns.
„Für wen?“
„Für uns.
„Für die Kirche?“
„Nein, für uns. Wir sind Messdiener
„Also... für die Messe?“
„Nein, damit wir zusammen was unternehmen können.
„Also ihr drei?“
„Ja.Wir wollen zum Beispiel gemeinsam wegfahren.

*kleingeldgeb*

Also ich habe selber immer etwas übrig für besonders gute Schemes von Grundschulkindern, da ich mich selber rühme damit die Menschheit ins Bodenlose abgezogen zu haben. /Übertreibung_aus
Manchmal möchte man dann nochmal unschuldige 9 jahre sein und einfach nur Geld einsammeln. 
Im Gegensatz dazu stelle ich mir allerdings vor wie alle Pubertierenden und Erwachsene, die sich mir zigeunergleich mit vagen Geschichten anbiedern, vor meinen Augen durch Säcken hingerichtet werden.

Kindchenschema

Ich hatte damals aus heutiger Sicht vielleicht ein merkwürdiges Hobby: Ich habe mit meinem Spielkameraden regelmäßig Papiermülltonnen aufgesucht. Besonders interessant waren die großen, von öffentlichen Einrichtungen, wie die Grundschule. Diese hatten die Eigenschaft mit erstaunlich breitgefächterten Angebot aufzuwarten und ein buntes Spektakel der Beschäftigung zu bieten. Dies nur grob Vorweg, da ihr euren Henoth nicht als fiesen Mülltonnenwühler, wie etwa die Rolle des Pinguin in Tim Burtons "Batmans Rückkehr" in Erinnerung behalten sollt, sondern eher als investigativen Mülltonnenwühler, wie etwa Diogenes von Sinope.


„Der Film verlagert das Schwergewicht auf die Aufdeckung der nachfreudianischen Realität der Cartoon-Figuren und ihres Verhaltens. Die opernhafte Inszenierung bedient sich eines cartoonhaft pointierten Designs, das seine gigantischen Entwürfe dem Expressionismus, Kubismus und der Nazi-Kunst entlehnt. Die Perspektive des Regisseurs überlagert die genreübliche Action und versucht, die Comic-Charaktere psychologisch zu vertiefen.“
- Lexikon des internationalen Films über Batmans Rückkehr

Als wir einen sehr großen Stapel Groschenromane aus der Hauptquelle bargen, entwickelten wir ähnlich wie die Messdien-Mädchen ein Scheme, das uns zu besserem Taschengeld verhelfen sollte.
Als erstes kamen wir mit klassischer und eingeübter Methodik, welche wir bereits beherschten. Das war jene Tugend, die als Kinder eben am besten transportier konnten: Mitleid.

Und schließlich musste eine mitleidige Geschichte her. Wir wollten ein wasserdichtes Motiv haben.  Unsere Story war durch die Brent-Spar Katastrophe hochaktuell und der Zusammenhang verwirrte zudem viele Mennschen (Verwirrung hilft bei sowas). Und letztlich konnten wir Ungereimtheiten immer auf unsere Unbekümmertheit schieben; dass wir es eben nicht besser wüssten. Wir wussten aber alles besser mit 9 Jahren, so zum Beispiel, dass wir kategorisch zu den lieben Knaben einsortiert wurden und wie wir hinterfotzige Bengel dies in klingende Münze umsetzen konnten ohne mit der Wimper zu zucken.

„Entschuldigen Sie bitte, wir sammeln für ein Robbenhospital in Dänemark, welches sich wegen der Shell-Katastrophe um die sterbenden Robbenbabies kümmert. Wenn Sie möchten, kaufen Sie bitte einen Roman für 50Pf, das Geld kommt der Stiftung zu Gute. “
- zwei 9 Jährige an der Haustür


Und das lief auch ausgezeichnet. In wirklichkeit hat uns das gar nicht so kalt gelassen - wir waren natürlich jedesmal völlig aufgeregt, ob die Masche zieht. Haben uns jedesmal im Abstand von der Eingangstür kaputtgelacht über jedes silberne 50Pf Stück und rissen uns dann wieder zusammen. Immer wieder die Masche verfeinert und auf die unterschiedlichsten Gegenüber reagiert (Oma, alter Sack, junge Frau, Kinder, etc.) Das klappte so gut, dass manche das Scheißbuch nicht bloß kauften sondern uns das Zwei-Mark-Stück ohne weiteren Aufhebens in die Hand drückten, nur damit wir verschwindeten. 

„Das ist eine richtig nette Ich-scheiß-dich-nicht-an – Du-scheißt-mich-nicht-an – Vereinbarung.“ 
- Seth Gecko
 

Wir hatten natürlich noch nie etwas von Spendenausweis, -quittung oder ähnlichem gehört - hatten aber die Ahnung, dass man sicherlich behördliche Genehmigungen einholen muss, wenn man sich an Haustüren mit irgendwas aufspielt. In einigen Momenten musste man auch mal dem Griff des forschen Erwachsenen entkommen, der das Scheme erkannte und weglaufen, aber wie euer Leidensgenosse und Schulbusfahrer Henoth bereits berichtete: Das war unsere Kernkompetenz.


Situation Kirche: Die Glas-halb-voll-Studien


Ich sehe mich also ganz klar zurückversetzt in diese damalige Situation wie ich mir diese Messdiener-Mädchen ansehe, die kecker nicht sein könnten;  denen das Geld sogar ohne Geschichte zufliegen mag. Den Unterschied macht für mich eben deren (wenngleich projektierte bzw. erlogene) Motivation. Hätten Sie sich eine Scheiß-Geschichte ausgedacht oder wären unter dem Banner der Kirche angerollt, dann hätte ich den Vogel gezeigt oder eben mich verbunden gefühlt nachzufragen, warum Sie denn mit den gefühlten knapp tausend Euro Kirchensteuer letztes Jahr nicht ausgekommen wären, die ich allein steuerrechtlich als Abgabe sogar auf meine derzeit 0,7% Zinsen des Tagesgeldkontos ableisten muss. Die Mädchen damit konfrontieren? Eine Farce.



„Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben" - Rudolf Bultmann

Wenn ich mich im Augenblick dieser Situation mit den Messdienerinnen im SINUS Diagramm verorten müsste, würde ich mich allein durchs Ausschlussverfahren den Bürgerlichen Performern zuordnen. Wenn ich allerdings die schöne Sinus-Milieu-Studie betrachte, welche das Erzbistum Köln im Handbuch "Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005©" dokumentiert, dann fällt es mir schwer mich zwischen den Argumenten des Panoramas von 4 bis 10 schwerpunktmäßig genau festzulegen. Ich teile nahezu alle Gegenargumente.


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Weiterhin habe ich beim Betrachten des DELTA Diagramms zu Einstellungen zur Kirche (Folie 35) zunehmend das Gefühl, dass diese Studien eine Glas-halb-voll-Situation abbilden, damit man sich jeden Morgen beim anziehen der Mitra noch im Spiegel ansehen kann. 
Denn wenn ich die Kennzeichnungen zur Milieuabgrenzung mit den Einstellungen vergleiche, scheint mir, dass lediglich Meinungen von den Teilnehmern verarbeitet wurden, die überhaupt einen Bezug zur Institution aufbauen können. Alle anderen würden wahrscheinlich die positive Sicht dermaßen verändern, dass man bestimmte Milieus nur sehr unwahrscheinlich bis garnicht über die Kirche erreichen kann. Das wird sehr schön positiviert dargestellt, in dem man das detailliert in: 
  • "traditionelle Frömmigkeit" und 
  • "sprituelle Ethik"  - gerne auch verzerrt durch "konzepte aus asiatischem Raum". 



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Für mich ist völlig klar, woher diese Gruppen im Diagramm stammen, die von ihrer Milieu eigentlich keinen spirituellen Bezug mehr zur Kirche haben sollten. Sie haben nur noch einen monetären: Sie sind dennoch Kirchensteuerzahler. Würde man nämlich eine Studie verorten, in der man die Ungläubigen, evangelischen und Mohammedaner mit ins Diagramm holt, dann würden sich im Median sicherlich nicht mehr so positive Sätze für Selbstverwiklichungs- und Selbstgemanagten Milieus finden lassen. Eine Bottom-Down-Analyse also. Wie hilfreich. Nicht.


Glaube und Religion: Zusammenfassung (2)
  • Weithin überlebt hat sich allerdings die traditionelle (volkskirchliche) Frömmigkeit; sie gilt heute in den meisten Milieus, auch in denen des traditionellen Segments, als unzeitgemäße, unkritisch-naive Haltung, des es letztlich an (Selbst)Verantwortung mangelt - und die allenfalls noch in exotischem Gewnd (Mystiker, Mönche, Einsiedler) geschätzt wird.
  • In den modernen gehobenen Mileus findet häufig eine intellektuell-distanzierte Auseinandersetzung mit Fragen der Religion und des Glaubens statt. Die christliche Religion gilt zwar als zentraler Bestandteil der abendländischen Kultur und als Basis einer allgemein verbindlichen Ethik. Vom Kanon kirchlicher Glaubenssätze haben sich aber die meisten emanzipiert, und für die persönliche Ausgestaltung ihres Glaubens haben diese keine Verbindlichkeit. 
- MDG-Milieuhandbuch 2013 - Auszug von Georg Frericks auf Folie 17 SINUS Studie

Das und die Art der Milieu-Einteilung selber erklärt schließlich warum ich mich nur fuzzy im Diagramm wiederfinde. Das erklärt nicht wer Schuld ist, dass es Unterschiede zur Wahrnehmung der Kirche in den Milieus gibt. Wahrscheinlich ein Henne-Ei-Problem, meine gütigsten Blogleser, wahrscheinlich aber auch eher ein faules Ei, lange schon verrottet. Denn was an Institutionskritik in den Studien hängen bleibt ist, dass die Kirche eine verstaubte sei und das Christentum des alten Testaments sogar eher eine Stammesreligion, sagt Notger Slenczka, Inhaber des Dogmatik-Lehrstuhls an der Berliner Humboldt-Universität.


„Das AT insgesamt ist für Harnack Zeugnis einer ethnisch gebundenen Stammesreligion, die in ihren spätesten Zeugen über diese Partikularität hinausgeführt wird; die Universalität des Religiösen ist aber erst in Jesus von Nazareth erfasst und wird im Laufe der Christentumsgeschichte ausgearbeitet“, argumentiert Notger Slenczka in der FAZ


Dafür wird Notger gebasht und wie sollte es auch anders sein, als AntiJudaismus gekennzeichnet - Totschlagargumente sind ein alter Hut für die Würdenträger im Showgeschäft. Aber abseits hochschulpolitischer Schauplätze hat euer geschätzter Henoth Gasknecht ebefalls den Stuhl eines Dogmatikers inne und kann an der Herangehensweise von Slenczka beim Herrgott keinen theologischen Skandal erkennen.

HENOTH GASKNECHT: „Oh, Gott!“
DER WELTENRICHTER: „...Hast Du eben Gott angerufen?  Das heißt du bist müde.
HENOTH GASKNECHT: „Ja, ich habs als Bild benutzt - popkulturell verwendbar zur Verständigung. Ich habs nicht wirklich getan. Eine Floskel. Aber ja 3h Schlaf reichen nicht aus pro Tag. Ich bin hier 'alles müde'.“
*gähnmenschheit*
 

Erstens weil "theologischer Skandal" ein Oxymoron scheint und zweitens, weil es genauso eine Diskussion brauch, um einer aufgeklärten, postdemokratischen Welt gerecht zu werden: 
  • Was ist mit den anderen Bibelfragmenten? Warum kanonisch? Wer hat das bestimmt?
  • Wie machen das die anderen? Verwandtschaften zu Islam und Judentum abbilden
  • Wieso deuten? Wer bestimmt den Deutungsraum von jahrtausende alten Schriften?
  • Was sagt die heutige Sprachforschung zu Aramäischen Übersetzungen?
  • Welche Unterschiede ergeben sich allein durch sprachliche Interpretation?
  • Was hat der Kulturbackground einer jeden Übersetzung hinzufügt?
  • Woher kommen die Rituale? Welche Deckungsgleichheit besteht mit den Büchern?
  • Welche Rolle nimmt die Kirche bei diesen Fragen ein?
Das ist nur die Spitze des Eisberges, aber nach eingehnder Betrachtung brauchen wir die "Kirchen-Kunden"/ Steuerzahler nicht mehr in Milieu-Digramme einzusortieren, um ihren Flavor der Adressierung besser zu treffen. So wie man Marketing mit unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich macht. 
Übers Ohr hauen. 
Ein Scheme von Haustür zu Haustür mit einer zweitausendjahre alten Geschichte....






ich meine genau dieser quatsch treibt die situation auf die spitze, mann! hör zu, ich will dir nicht drohen, okay? du weißt, dass ich dich respektiere. aber bring mich bitte nicht in so eine situation, okay? 
- Jules Winnfield





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